Nachhaltigkeit im Bauwesen
Der Begriff Nachhaltigkeit hat sich in der Bau- und Immobilienwirtschaft weiterentwickelt. Neben den drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziokulturelles kommt den Aspekten technische und Prozessqualität sowie Standortmerkmalen besondere Bedeutung zu. Elementar ist auch die Lebenszyklusbetrachtung, denn nachhaltiges Bauen bedeutet, in allen Phasen des Lebenszyklus des jeweiligen Gebäudes den Einsatz von Rohstoffen und Energie zu optimieren. In der Planungsphase, während der Errichtung und während der Nutzung des Gebäudes sowie beim Rückbau gilt es, effizient mit Ressourcen umzugehen und die Umwelt möglichst wenig zu belasten. Gebäude werden zunehmend im Hinblick auf ihre ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekte beurteilt und bewertet. Verschiedene Gebäudezertifizierungssysteme kommen dabei zum Einsatz. Sie beschreiben und bewerten die Qualität der Nachhaltigkeit anhand standardisierter Kriterien.
Sogenannte Schutzgüter und Schutzziele gemäß ISO 15392 dienen als Grundlage für die Entwicklung von Bewertungskriterien. In Bezug auf das nachhaltige Bauen werden zum Beispiel natürliche Ressourcen (Ökologie), Kapital (Ökonomie) und Gesundheit (Soziokulturelles) als Schutzgüter betrachtet. Die formulierten Schutzziele benennen unter anderem die Schonung natürlicher Ressourcen, die Minimierung von Lebenszykluskosten sowie die Bewahrung von Gesundheit und Sicherheit. Die technische Qualität, die alle Bereiche der Nachhaltigkeit beeinflusst, gilt ebenfalls als Schutzgut. Deshalb werden zum Beispiel Brand-, Schall- und Wärmeschutz oder auch die Instandhaltung sowie die Rückbaubarkeit einer Immobilie betrachtet. Ebenso spielt die Prozessqualität von der Planungsphase über die Bauausführung bis zur Vorbereitung des Betriebs eine wichtige Rolle im Sinne der Schutzziele und in Bezug auf Nachhaltigkeit. Auch die Standortqualität wirkt sich auf sämtliche Ziele des nachhaltigen Bauens aus.
Vom Bauprodukt zum nachhaltigen Gebäude
Nachhaltig Bauen bedeutet, jedes Bauwerk ganzheitlich zu betrachten und jedes Detail, sprich jedes einzelne Bauprodukt, zu analysieren. Je nach Art, Nutzung oder Standort des Gebäudes ergeben sich unterschiedliche Anforderungen an die verwendeten Bauprodukte. Jedes einzelne beeinflusst die ökologische Qualität des gesamten Bauwerks. Deshalb können die Umweltwirkungen einzelner Bauprodukte erst im Gebäudekontext beurteilt werden – zum Beispiel was in jedem einzelnen Produkt steckt, welche Ressourcen und Energiemengen jeweils benötigt werden und welche Emissionen bei Herstellung, Transport, während der Nutzung und beim Rückbau freigesetzt werden.
Typ III-Umwelt-Produktdeklarationen (en: Environmental Product Declarations –kurz: EPDs) dokumentieren die umweltrelevanten Merkmale von Bauprodukten und liefern so die Basisinformationen für die Beurteilung der ökologischen Gebäudequalität. Diese ist für die ganzheitliche Betrachtung und damit auch für die Nachhaltigkeitsbewertung von Bauwerken wesentlich.
Die Entwicklung von Gebäudezertifizierungssystemen wie DGNB, BNB, LEED oder BREEAM veranlasst Immobilieninvestoren und Bauträger zunehmend, Umweltaspekte bei der Produktauswahl zu berücksichtigen. Dadurch gewinnen EPDs an Bedeutung. Denn sie liefern eine wissenschaftlich fundierte Datengrundlage für Gebäudebewertungen im Hinblick auf die ökologische und technische Qualität und treffen Aussagen zur Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit von Bauprodukten. EPDs sind als Instrumente zur Bauwerksbewertung international anerkannt.
Internationale Normungsarbeit für nachhaltiges Bauen
Das Deutsche Institut für Normung (DIN) vertritt die deutsche Normungsarbeit in der europäischen (CEN) und internationalen Normung (ISO). Nachhaltiges Bauen wird auf globaler Ebene grundlegend in der Norm ISO 15392 festgelegt und durch das für das gesamte Normungsprojekt „Nachhaltiges Bauen“ zuständige Unterkomitee ISO/TC 59/SC 17 bearbeitet. Darauf aufbauend sind weitere Normen und Normungsarbeiten zu Nachhaltigkeitsindikatoren, Umweltdeklarationen von Bauprodukten für die Bewertung der Wirkungen von Gebäuden auf die Umwelt und Grundlagen für die Nachhaltigkeitsbewertung von Ingenieurbauten beim ISO/TC 59/SC17 angesiedelt. Die Gebäudebewertung sowie Produktdeklarationen in Form von EPDs sind nur für die ökologische Säule der Nachhaltigkeit geregelt. Die Aspekte Soziales und Ökonomie werden bislang lediglich als „Allgemeine Grundsätze“ (en: General Principles) in der ISO 15392 behandelt.
CEN/TC 350 und DIN EN 15804
EPDs haben in Europa im Rahmen der Normungsarbeiten des R CEN/TC 350 „Nachhaltiges Bauen“ an Bedeutung gewonnen. Sie enthalten die für die Bewertung der ökologischen Nachhaltigkeit von Bauwerken relevanten Informationen über einzelne Produkte. Neben den drei essentiellen Dimensionen Ökologie, Ökonomie und Sozio-Kulturelles werden bei der Gebäudebewertung auch die technischen und funktionalen Bauwerksqualitäten betrachtet.
In der Agenda 21 werden die Industrienationen dazu aufgefordert, den Ressourcenverbrauch erheblich zu senken. Das Bauwesen bietet ein enormes Potential, da in diesem Bereich Ressourcen- und Energiebedarf sowie Treibhausgasemissionen und Abfallaufkommen besonders hoch sind. Viele Akteure der Baubranche stellen sich dieser Verantwortung und engagieren sich für Nachhaltigkeit im Bauwesen.
Zentrales Ergebnis der europäischen Normungsarbeiten im Bauwesen ist, dass die Beurteilung der ökologischen Gebäudequalität auf den Ergebnissen einer Ökobilanz aufbauen soll. EPDs der einzelnen Bauprodukte und deren Ökobilanzen liefern die Datengrundlagen dafür. Die Zertifizierungssysteme BNB und DGNB knüpfen daran an.
Die EPD-Programme – ob in Deutschland, Europa oder weltweit – basieren auf der internationalen Norm ISO 14025. Sie gilt für alle Branchen, doch Vorreiter in der Anwendung ist die Baubranche. Deshalb wurden im Europäischen Komitee für Normung – genauer: im CEN/TC 350 – die Regeln für die Erstellung von EPDs über die ISO-Vorgaben hinaus konkretisiert. So trat im April 2012 die für alle Bauprodukte und Bauleistungen anwendbare europäische Norm DIN EN 15804 in Kraft. Sie liefert grundlegende Produkt-Kategorieregeln (PCR) zur Deklaration von Bauprodukten und Bauleistungen aller Art und ebnet so den Weg für europaweit gültige EPDs. Nach den Maßgaben der EN 15804 haben die europäischen Programmhalter – allen voran das IBU – eine entsprechende Harmonisierung von EPDs auf europäischer Ebene vorangebracht.
Nachhaltiges Bauen in Deutschland
Im Jahr 2002 hat die Bundesregierung die nationale Nachhaltigkeitsstrategie „Perspektiven für Deutschland“ verabschiedet. Sie enthält politische Leitlinien für eine nachhaltige Entwicklung und umfasst 21 Indikatoren zur Erfassung von Zielen und Fortschritten. Das Maßnahmenprogramm wird stetig fortgeschrieben und beinhaltet unter anderem die Ausrichtung von Bundesbauten an den Anforderungen des Bewertungssystems Nachhaltiges Bauen (BNB). Bezogen auf Bundesbauten soll Nachhaltigkeit über den gesamten Lebenszyklus unter Einbeziehung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte transparent, messbar und überprüfbar sein. Dabei sollen auch städtebauliche, gestalterische, technische und funktionale Aspekte berücksichtigt werden. Die Bewertung erfolgt auf Basis anerkannter wissenschaftlicher Methoden wie Ökobilanzierung und Lebenszyklus-Kostenrechnung. Neben dem BNB-Programm des Bundes betreibt die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen e.V. (DGNB) seit 2007 ein Zertifizierungsystem für private Bauten, bei dem ebenfalls die Ökobilanzierung auf Gebäudeebene angewendet und EPD als Datengrundlage genutzt werden.